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Wie sich Marken durch Data-Marketing emanzipieren

    Google, Facebook und Amazon sind nicht wegzudenken im Online-Werbegeschäft. Aber es braucht offenere Ökosysteme, fordert Eichmann, Co-Founder und Managing Director von Adlicious. Seine Empfehlungen für Werbungtreibende. 

    In den USA werden nach vierzig Jahren des freien Wachstumes erneut Stimmen laut, die meinen, man müsse eine Rechtsquelle für Wettbewerbsrecht aus den 1890er Jahren einsetzen, um die Marktdominanz der vier größten Tech-Unternehmen – Google, Amazon, Facebook und Apple – einzudämmen. Zusammengenommen haben sie einen Börsenwert von 3,6 Billionen US-Dollar. Auch wenn sie in verschiedenen Märkten agieren verbindet sie, dass sie einmalige Datenschätze aggregieren, stetig ausbauen und abgeschottet in den sogenannten Walled Gardens restriktiv der eigenen Monetarisierung bzw. auf ihren Plattformen werbenden Partnern vorbehalten. Der globale Verkauf von Produkten über digitale Vertriebskanäle – das, was in den 90er Jahren für eine regelrechte Goldgräberstimmung sorgte und den Grundstein für eine Vielzahl digitaler Geschäftsmodelle legte – wird abgelöst durch eine neue Welt der Plattformen. Während etwa der Verkauf von iPhones 2016 ins Stocken geriet und seither mit jährlich rückläufigen Absatz- und Umsatzzahlen kämpft, wächst Apples Geschäft mit mobilen Apps und Services kontinuierlich. Diese Entwicklung zeigt, dass Geräte mehr und mehr zum Vehikel für Transaktionen werden, wie groß die Bedeutung der Plattformen der GAFAs ist und wie diese im Wettbewerb um Endkunden und Werbungtreibende ihre Geschäftsmodelle neu definieren – mit dem klaren Ziel: Möglichst viele Transaktion zwischen Drittanbietern und Endkunden auf der eigenen Plattform ermöglichen, fördern und verstehen. Doch sind Plattformökonomien weit vielschichtiger als restriktive, monopolistische Marktplätze. Je mehr Interaktionen – z. B. soziale Interaktion, Handel und Informationsbeschaffung – des täglichen Lebens in einem Ökosystem stattfinden, desto vielseitiger die Monetarisierungsmöglichkeiten. Um nur ein Beispiel zu nennen: Als vorinstallierte Suchmaschine auf dem iPhone installiert zu bleiben, lässt sich Google im vergangenen Jahr 9,5 Milliarden kosten, die der Konzern über Internetdaten und Werbeanzeigen amortisiert. Daten sind seit 2017 die wertvollste Ressource der Welt und lösen damit Öl ab. Dementsprechend transformieren die größten Datenaggregatoren ihre Geschäftsmodelle.

     

    Kundendaten sind wertvoller als Warenverkäufe

    Besonders gut zu sehen ist diese Transformation beim Online-Händler Amazon. Wie aus einer Mail des Amazon-Marketings an Händler zu entnehmen ist, machte Amazon 2018 in Deutschland 10,2 Milliarden seines Gesamtumsatzes von 17 Milliarden mit seinem Marktplatz für Drittanbieter. Das Kerngeschäft – Online-Handel – ist folglich längst weniger profitabel als das Plattformgeschäft. Zum einen wird Amazon mit 7-45 Prozent am Umsatz der Drittanbieter beteiligt. Zum anderen lassen sich aus dem Prozess einer Transaktion sowie dem Verhalten bis zum Kaufabschluss wertvolle Daten generieren, die angereichert mit datenwissenschaftlichen Analysen, künstlicher Intelligenz und maschinellem Lernen, präzise Ableitungen zum Kaufabsichtsverhalten ermöglichen. Bezieht man sämtliche Interaktionen eines Kunden auf der Plattform mit ein, ergeben sich umfassende Profile, die u.a. demographische und psychografische Merkmale beinhalten und aus denen sich Interessen, Vorlieben und Bedürfnisse ableiten lassen. Ein ideales Umfeld für Werbungtreibende. Auf Basis von Nutzerprofilen und Interaktionschroniken lassen sich sehr spezifische Zielgruppensegmente bilden und Media Budget sehr gezielt, bei minimalen Streuverlusten, einsetzen.

    Zur Veranschaulichung: Auf Amazon lassen sich Kampagnen konzipieren, die im Targeting jede Person in die Zielgruppe miteinbeziehen, die gewisse demographische Merkmale wie Geschlecht, Altersgruppe etc. aufweist und eines oder mehrere bestimmte Produkte angesehen und/ oder erworben hat. Jemand der alle Harry Potter Bücher bei Amazon angesehen oder erworben hat, wird potenziell ebenfalls Interesse an weiteren Produkten der Zauberer-Saga haben. Anhand seines Profils lässt sich zusätzlich ein Vorhersagewert ermitteln, der angibt, ob Filme, Videospiele oder eine beliebig andere Produktgruppe mit der größten Wahrscheinlichkeit zu einem Kaufabschluss führen. Jede Interaktion und jeder Kaufabschluss – unabhängig davon, ob der eigentliche Verkauf Amazon oder einen Drittanbieter begünstigt – erzeugt einen kontinuierlichen Strom hochwertiger Daten. Für Marketers ergeben sich aus diesen Daten für Vertriebs-, Produkt-, und sogar Finanzentscheidungen relevante Insights. Etwa wo im Sales-Funnel sich ein bestimmtes Zielgruppensegment befindet, welche Marketingbotschaft der entscheidende Wirkungshebel bei der Conversion war und welche Umfeldfaktoren diese positiv oder negativ beeinflusst haben. Die Sorgen im Markt hinsichtlich der Dominanz der GAFAs und ihres Einflusses auf die Ausspielung von Werbeanzeigen werden lauter und lauter. Bereits heute starten über die Hälfte sämtlicher Produktsuchen auf Amazon, was die Position als eine der relevantesten Werbeplattformen eindrucksvoll unterstreicht. Bleiben die Gatekeeper der Walled Gardens als letzte Werbepartner bestehen und was hat der europäische Werbemarkt dem entgegenzusetzen?

     

    Die Ursprünge der Marktdominanz der Walled Gardens

    Um diese Frage zu beantworten lohnt ein Blick auf die Ursprünge des digitalen Marketings und der datengetriebenen Mediaplanung im deutschen Markt. Vor zehn Jahren, lange bevor hochentwickelte Adserver, Echtzeit-Auktionen und personalisierte Mediakampagnen denkbar waren, arbeiteten Mediaplaner mit festen Media-Kontingenten bei Publishern und großen, unhandlichen Papierplänen. Tracking und Targeting steckten noch in den Kinderschuhen und wurden lediglich von zwei Anbietern überhaupt ermöglicht. Diese sammelten in Befragungen und über Login-Daten grundsätzlich wichtige Informationen, wie Geschlecht, Alter etc. Natürlich ist sowohl die Qualität als auch die quantitative Dichte der erhobenen Daten nicht vergleichbar mit heutigen Standards. Insbesondere die geringe Datendichte machte es notwendig, mit Hochrechnungen auf Audiences zu arbeiten. Darunter litt die Targetinggüte, also die akkurate Ausspielung an die gewünschte Zielgruppe. Auf Publisher-Seite entstanden zu dieser Zeit erste Kampagnen, die Nutzerdaten mit dem Inventar kombinierten. Auch hier musste mit Hochrechnungen gearbeitet werden und die Beschränkung auf Daten aus dem eigenen Inventar erlaubte keine Rückschlüsse zum Kaufverhalten (Market Data) oder zu persönlichen Vorlieben oder Plattformübergreifenden Interaktionen (Affinity Data). Deutsche Webportale und E-Mail-Anbieter wie GMX werteten Nachrichten nicht zu Werbezwecken aus und Online-Shops arbeiteten mit rudimentären Analyse-Tools oder behielten ihre potenziell wettbewerbsschädigenden Daten für sich. Insofern existierten die Daten in unterschiedlichsten Formaten und in den Silos der datenerhebenden Organisationen.

    Diese Ausgangslage konnten sich die GAFAs zu Nutze machen und ihre Datenschätze aufbauen. Google diversifizierte das Suchmaschinengeschäft mit diversen kostenlosen Services, aggregiert kontinuierlich mehr und mehr hochwertige Internetdaten und dominiert aktuell den Werbemarkt mit den größten Marktanteilen im digitalen Bereich. Amazon öffnete seine Plattform für Drittanbieter, hat in den USA einen Marktanteil von 45 Prozent im E-Commerce und generiert durch die Verschiebung des Suchverhaltens hin zur eigenen Plattform und dem Einsatz von First Party Marktdaten zunehmend mehr Werbeeinnahmen. Apple hält sich sehr bedeckt was die Aggregierung und den Einsatz von Big Data angeht. Bekannt ist, dass Apple Daten und Technologie zur Optimierung des eigenen Business einsetzt und weniger zur Monetarisierung am Markt. Facebook analysiert jede Nutzerinteraktion auf der Plattform – auch Chatverläufe – und konnte Nutzer mit Like-Buttons über die eigene Plattform hinweg tracken. Bis heute kann kein Anbieter ansatzweise die Menge an demographischen und Affinity-Daten aufweisen wie Facebook. Das Ausmaß dessen, was mit diesen Daten möglich ist, zeigte sich unter anderem im Cambridge Analytica Skandal. Millionen Facebook-Nutzerprofile wurden ohne Zustimmung analysiert und mit einem Media Budget von einer Million US-Dollar pro Tag zur gezielten Manipulation der US-Präsidentschaftswahl 2016 eingesetzt.

     

    Programmatic im Spannungsfeld der Mediaplanung

    Für Marketers sind die Kanäle der großen Plattformen unumgänglich und es wäre nicht im Sinne von Werbungtreibenden sie zu boykottieren. „Money follows eyeballs – and all eyes are glued to the web”. Soll heißen: So lange wir, die Endkunden, die Plattformen unverändert intensiv nutzen, bleiben sie als Werbeplattform relevant. Zeitgleich ist es aus Gründen einer paritätischen und pluralistischen Marktordnung bedenklich, dass Daten, die heute für eine Vielzahl ökonomischer Entscheidungen von essenzieller Relevanz sind, und als natürliches Nebenprodukt der Werbung auf den Plattformen der Techgiganten entstehen, jenen wenigen Marktteilnehmern vorbehalten sind. Es muss im Sinne der Branche sein, einen Weg zur gemeinschaftlichen Datennutzung zu finden. Andernfalls riskiert man, dass der Grad der Personalisierung und der Relevanz von Werbebotschaften in der Breite leidet und lediglich auf den Plattformen der Walled Gardens uneingeschränkt zu erreichen ist. Für ein freies und offenes Internet muss es werbungtreibenden Unternehmen möglich sein, relevante und inspirierende Eindrücke zu schaffen, die bei ihrer Zielgruppe resonieren. So lange der Resonanzboden hierfür von den Gatekeepern der Walled Gardens bewacht wird, kann dies nicht geschehen. Welche Möglichkeiten bieten sich Werbungtreibenden, um ihre Zielgruppen auch außerhalb der GAFAs gezielt zu erreichen?

    Grundvoraussetzung für die Werbeausspielung an geeignete Adressaten ist eine passende Targeting-Strategie und relevante Zielgruppendaten die, korrekt eingebunden in das Kampagnen-Set-Up und mit konsequenter Optimierung, maßgeblich zum Kampagnenerfolg beitragen. Durch die wachsende Bedeutung von Datenschutz und regulativen und proaktiven Einschränkungen von Third Party Daten, müssen Zielgruppendaten differenzierter betrachtet und neue Wege gefunden werden, relevante Daten zur Kampagnenoptimierung zu gewinnen. Nach wie vor sind First Party Daten, die Unternehmen selbst über ein CRM oder Logins zu ihren Kunden erheben, besonders wertvoll. Sie bieten eine hohe Genauigkeit und sind ein präzises Mittel, um Bestandskunden zu verstehen und über Hochrechnungen zusätzliche Reichweiten in einem passenden Zielgruppenumfeld zu generieren. Spezifische Zielgruppen und Zielgruppensegmente lassen sich durch Second Party Daten erreichen, die selektiv an Partner innerhalb von Allianzen wie Net.ID oder Verimi weitergegeben werden und strengeren Richtlinien unterliegen als Third Party Daten.

    Die Integration und Zuordnung von Daten aus verschiedenen Quellen in eine Demand Side Plattform (DSP) erfordert profundes Fachwissen. Wenn die Datenintegration in die DSP fachgerecht vorgenommen ist, stehen Werbungtreibenden eine Vielzahl von Aussteuerungsmöglichkeiten zur Verfügung, auch außerhalb der GAFAs. Im programmatischen Einkauf sollten Marketers folglich ganzheitlich agieren und verschiedene Einkaufsplattformen miteinbeziehen. Hierzulande bieten sich Anbieter wie Otto Group Media, Zalando Marketing Solutions oder Media Markt Saturn an. Die digitale Marketing Branche bietet vielseitige Möglichkeiten mit Zielgruppen zu interagieren. Die GAFAs haben ihre Angebote dahingehend perfektioniert, Werbungtreibenden einfachen Zugang zu programmatischer Werbeaussteuerung und präzisen Mess-Metriken zu ermöglichen. Für den Kampagnenerfolg sind indes ausdifferenzierte Ziele und Teilziele, präzises Tracking über verschiedene Plattformen hinweg, Optimierung der Zielgruppengenauigkeit und kontinuierliche qualitative und quantitative Werbewirkungsmessung relevante Wirkungshebel, die auch unabhängig von einzelnen Plattformen realisierbar sind. Digitale Kampagnen entfalten dann ihre größtmögliche Wirkung, wenn eine kohärente Strategie ohne Limitierung auf ein Set von Technologieanbietern zur Erreichung von Kampagnenzielen umgesetzt wird, denn keine Technologie kann sämtliche Kampagnenanforderungen bewältigen. Die Mediaqualitätsansprüche der Rezipienten wachsen stetig. Für Akzeptanz von Werbemitteln bedarf es kreativer, personalisierter, hochwertiger und vor allem vielseitiger Kampagnen, um Messages auch nachhaltig in die gewünschte Zielgruppe zu transportieren. Hier profitieren Werbungtreibende von unabhängigen Experten, die zielgruppenrelevante Media-Erlebnisse über sämtliche Kanäle realisieren und auswerten können.

    Dieser Beitrag ist zuerst bei W&V erschienen.

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